Lange bevor Kinder in der Schule rechnen lernen, verfügen sie bereits über ein intuitives Verständnis von Zahlen, Mengen und einfachen Rechenoperationen. In unserer Forschung interessiert uns besonders, wie Kinder einen Begriff von der natürlichen Zahlenreihe erwerben. Es ist spannend zu beobachten, wie jüngere Kinder, aufbauend auf schon sehr früh nachweisbaren Intuitionen über Anzahl, Menge und Dauer, Schritt für Schritt ein Verständnis von eins, zwei, drei und vier erwerben. Hierbei ist besonders faszinierend, dass Kinder häufig schon längst bis zehn oder sogar weiter zählen können, bevor sie verstehen, wie die Liste der Zahlwörter mit der Anzahl von Gegenständen zusammenhängt. Jüngere Kinder fangen auf die Frage „Wie viele …?“ häufig an, die betreffenden Gegenständen abzuzählen, ohne die zuletzt genannte Zahl als Antwort vorzubringen. Wenn man sie danach noch einmal fragt „Na, und wie viele sind es dann?“ fangen sie mit dem Zählen meist wieder von vorn an.
Wie das frühkindliche Wissen über die Anzahl und das Hinzufügen (Addieren) bzw. Entfernen (Subtrahieren) von Objekten im Laufe der Kindheit mit den kulturell vermittelten Zahlensymbolen und Rechenoperationen verknüpft wird, ist noch nicht im Einzelnen bekannt.
Wir gehen in unserer Forschung insbesondere der Frage nach, warum jüngere Kindergartenkinder bei direkter Befragung Schwierigkeiten damit haben, das Ergebnis einfacher Rechenoperationen als richtig oder falsch einzuschätzen, obwohl dies bereits wenige Monate alten Säuglingen zu gelingen scheint, wenn man ihre Reaktionen (Blickzeiten) auf richtige und falsche Ergebnisse (z. B. 1+1=2 vs. 1+1=3) miteinander vergleicht. Das folgende Video liefert ein Beispiel für ein „unmögliches“ Ereignis, das bei Babys so etwas wie Überraschung (d. h. verlängerte Blickzeiten) auslöst.
Dasselbe Ereignis wird jedoch von 3- und 4-jährigen Kindergartenkindern häufig nicht als „falsch“ oder „getrickst“ beurteilt. Eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz ist, dass die Blickzeitmaße, die man in Säuglingsversuchen einsetzt, eine unbewusste Form des intuitiven Wissens tangieren, über das auch Kinder und Erwachsene noch verfügen, das aber in sprachlich dargebotenen Aufgaben nicht zum Tragen kommt.