Physik ist für viele Erwachsene ein abschreckendes Fach, das sie mit Formeln und abstrakten Theorien verbinden. Für Kinder ist neben der sozialen aber auch die physikalische Umwelt von Beginn an faszinierend. Ein Kind, das immer wieder seinen Löffel vom Hochstuhl aus auf den Boden fallen lässt, möchte damit nicht nur seine Mutter beschäftigen (oder nerven), sondern es interessiert sich vielleicht auch für die Flugbahn, der das Objekt jeweils folgt oder für das durch den Aufprall verursachte, jedes Mal etwas anders scheppernde Geräusch.
Früher hat man Säuglingen und Kleinkindern nur sehr begrenzte Fähigkeiten im Bereich der intuitiven Physik zugesprochen. Beispielsweise dachte man, dass Babys noch nicht verstehen, dass physikalische Objekte (wie z. B. der Löffel im obigen Beispiel) ganz unabhängig von ihren eigenen Handlungen existiert, und zwar auch dann, wenn sie aus dem Gesichtsfeld verschwunden sind. Diese Auffassung hat man mittlerweile aufgrund neuerer Befunde revidieren müssen. Es gibt sogar Forscher, die davon ausgehen, dass es einen angeborenen Wissensbestand über wahrnehmbare Gegenstände und deren Bewegungen gibt – ein so genanntes physikalisches Kernwissen.
Aber unabhängig von der Frage, ob es angeborenes Wissen über Physik gibt oder nicht, steht fest, dass Kinder in den ersten Lebensjahren dramatische Fortschritte im Verständnis der physikalischen Welt machen und dass sich grundlegende intuitive Begriffe, wie der von Ursache und Wirkung, bis ins Schulalter hinein ausdifferenzieren und teilweise sogar völlig neu strukturieren. Beispielsweise sind jüngere Kinder der Auffassung, dass ein einzelnes Reiskorn buchstäblich nichts wiegt, während ältere Kinder verstehen, dass alle materiellen Dinge auch etwas wiegen – unabhängig davon, ob man das Gewicht auch spüren kann oder nicht.
Einen ausgedehnten Verlauf nimmt unter anderem auch die Entwicklung des Wissens über die Stabilität von Objekten, die so genannte naive Statik. Obwohl schon Babys sensibel für gewisse Stabilitätsbedingungen von Gegenständen sind, dauert es noch mehrere Jahre bis sie intuitiv verstehen, dass ein Objekt nur dann stabil ist, wenn es am richtigen Punkt unterstützt wird. Die vom Erwachsenenstandpunkt aus erstaunlichen Schwierigkeiten, welche selbst ältere Kindergartenkinder in dieser Hinsicht noch offenbaren, zeigen sich beispielsweise in dem folgenden Video, in dem ein 5-jähriger Junge in einer unserer Studien versucht, einen asymmetrischen Gegenstand auf einer schmalen Schiene zu balancieren.